Winter

20 10 2019

Vom sommerlichen Rennen reichlich noch getrost

Und nicht begriffen, dass das Spiel verlor´n,

Noch Kraft im Herzen, noch der Kopf empor

Begegn´ ich diesem ersten leisen Frost.

.

Er tritt heran so weich und so umsichtig,

Allwissend wie ein alter Psychiater,

Der meine Regungen – wie eine Maus ein Kater –

Erkannt, belächelt hat… und hingerichtet.

.

In sein beruhigender Hand gefangen,

Vergeblich ringt man: noch ein Schritt! Ein Wort…

Er ist zu zart, zu unausweichlich, dieser stiller Tod.

Ich zittere nur kurz – und bin vergangen.





Man kann´s nicht wissen…

4 06 2018

Man kann´s nicht wissen! –

In die tiefste Schlucht der bitteren Verzweiflung mag man hier abrutschen.

Wie manche´s taten.

Jeder schwarze Schwann

Gleicht einem Terroranschlag auf den logischen Verstand:

Mag sein, die Sonne geht im Westen auf,

Mag sein, das Leben fängt beim Sterben an.

 

Immanuel vergrub sich, tiefst erschüttert,

In seinen Bücher, die er schließlich in die Fetzen schnitt,

Passage nach Passage alphabetisch ordnend,

So bitter er an dieser Leere litt.

 

Die schöne Seele eines Friedrichs hielt´s nicht aus:

Aus Sprachenlehre in die Suche nach dem Sinn

der Existenz:

alles ist sinnlos,

alles hin! –

Wie feierlich und traurig, sieh: die Sonne sinkt!

Foucault der Belle Epoque verendete im Irrenhaus.

 

Wer hätte es wissen können, wie es kommt…





Hoffnung

14 05 2018

Die Hoffnung. Das sehnsüchtige Verlangen

Nach einem Morgen, wenn das Heut´ zusammenbricht.

Die Saat, die, niemals gänzlich aufgegangen,

Noch nicht gekeimt und doch zugleich vergangen,

Vernunft zu Trotz noch immer strebt nach Licht.

 

Aus transzendentem Schmerz, einseitig bindend,

Mit nie erlebtem Gott geschlossener Vertrag:

Man gibt sich auf, man fügt sich Tag für Tag,

Dafür, dass Er in Seinem Jenseits einem Seelenwrack

Seinen nie ruhenden, endlosen Kummer lindert.

 

Teil unsrer Entropie, die sich nicht mindert.

Sie trügt zum Heitersein im allerschlimmsten Jetzt,

Man lebt so leicht, von ihrem Widerschein verhext.

Dem Lebenden sein trotzigster Reflex:

Die Hoffnung. Unsre allerbest´ Erfindung.





Jeder ist allein

30 04 2018

Jeder ist allein… – Ewig und immer.

Trotz all den mitfühlenden Stimmen,

Die einen zu trösten suchen…

Nein!

Wie der letzte sprachlose Stein

Unter dem schweigenden Himmel,

dem so herrlich gleichmütigen,

dem so unantastbaren,

dem es so völlig gleichgültig ist,

ob du ein Mensch oder Stein warst…

 

Und wenn dir dein Herz einmal barst

Beim Erkennen deines Alleinseins:

Wisch deine Tränen weg: das war es,

Es kommt nimmer viel zu wissen,

zu denken, zu fürchten, zu sein:

Jeder auf eigene Weise:

Ob schreiend, ob lachend, ob leise,

Jeder ist immer einsam.

Jeder ist allein.





Es ist alles verknüpft…

9 04 2018

Es ist alles verknüpft! Alles wandert und fließt,

transformiert seine Kanten in Kreise und Kurven,

Immer neue Gesichter und neue Figuren

Aus dem alten Gefüge, wo immer man´s liest.

 

Wer hat Augen, der sieht wie sich alles vermischt.

Neue Sterne entstehen aus den alten Plejaden,

Bunt und üppig verkleidet: Gedankenparade,

Wo kein einziger Funke in Lethe erlischt.

 

Alle einzelnen Striche, so klar souverän,

All unsichtbare Fäden des menschlichen Wissens

Knüpfen irgendwo an. All Gedanken und Schlüsse

Weben sich in ein Muster zusammen, makaber und schön.

 

Wer dem Muster der Dinge ein paar mal gelauscht,

Bleibt von seiner beweglichen Schönheit berauscht.

 





Unzeitgemäße Beobachtung

8 11 2017

Es gibt halt diese Menschen, die die Wände – im Falle der Uni Wien eher die Türe der öffentlichen WCs mit den Sprüchen beschmieren, die so in (pseudo-?)philosophische Richtung neigen. Wie etwa kritzelt so eine kreative Hand: „Fuck Islam und Kopftuchwahn“. Gleich darunter liest man, in einer anderen Handschrift geschrieben, eine weitere „ewige Wahrheit“: „Männer mit langen Haaren! Tragt Kopftücher, denn eure Haare machen mich zu geil!“. Noch weiter unten sieht man einen Aufkleber Refugees Welcome.

Nun, warum ich das hier anspreche. Wie man vielleicht weiß – ich verheimliche ja nichts – habe ich selber so was von einem Migrationsvorderhintergrund. Dank meiner beruflichen Tätigkeit der letzten zwei Jahre – in der Sozialbetreuung der ankommenden AsylwerberInnen – behaupte ich auch, ein etwas unmittelbareres Wissen aus der Sphäre zu haben, als so manch ein selbstberufener Philosoph, sei es einer, der sich für einen Politiker (oder Politikerin) hält, oder so einer (oder eine 😉 ), der/die nicht weiter kommt, als die Türe anzuschmieren.

Ich habe zum Beispiel kaum eine Iranerin mit Kopftuch gesehen, von Vollverschelierung ganz zu schweigen. Mir dünkt, mein revidiertes Bild einer Iranerin – einer Frau mit beneidenswert vollen dunklen Haaren und so schön charaktervollen Gesichtszügen, gekonnt unterstrichen durch Schminke, ganz leger und „westlich“ angezogen – passt nicht unbedingt in die allgemein herrschende Vorstellung, nicht wahr?

Auch im privaten Umfeld bin ich mit Menschen aus diversen Herkunftskulturen befreundet. Eine gute Freundin von mir kriegt zum Beispiel keine abschlussrelevante Stelle, da sie – eher aus familiären Gründen, als aus irgendeinem religiösen Wahn – ein Kopftuch trägt. Kein Niqab, nichts, ein schönes weißes Kopftuch, das ihre feinen Gesichtszüge ziemlich schön betont. Die junge Dame ist in Österreich aufgewachsen, hat einen BWL-Abschluss und zitiert aus dem Gedächtnis Goethe.

Ich selbst wurde äußerst weltlich aufgezogen, mein Wissen über die Religionen verdanke ich eher meiner lebenlangen Leidenschaft – Geschichte, als familiärer oder schulischer Prägung. Ein Kopftuch, das auch bei den Orthodoxen eine wichtige Rolle spielt, ist für mich eine leere Formalität. Die Diskrepanz zwischen meiner Einstellung – und der meiner guten Freundin – stört uns aber keinerlei daran, eine gegenseitige Sympathie, bzw. Respekt zu emfpinden. Ich würde mal sagen, wenn wir uns schon nicht einig sein sollten, dann eventuell nicht wegen des Glaubens, sondern eher weil ich nicht Goethe, aber eher Rilke mag.

Um die Kurve jedoch abzuschließen, zurück zu Refugees Welcome. Die allerwichtigste Frage, die ich nun in den Raum stellen möchte. Mir fiel nämlich auf, dass die weibliche Silhouette auf dem Aufkleber eine eher „westliche“ Frau darstellt: ihre schulterlangen Haare wehen im Winde, ihr Kleid ist knielang und ärmellos.

Und an der Stelle möchte ich nun fragen: heißt es etwa, nur die Flüctlinge sind willkommen, bei denen die Frauen ohne Kopftuch und westlich angezogen herumlaufen? Wie gesagt, keine Rede von Niqab. Kopftuch. Lassen wir die syrischen Frauen „dahaam“ bleiben, wenn sie kein kurzes Kleidchen anziehen wollen? Heißt es, wir nehmen nur Iranerinnen auf? Heißt es, dass ich – blonde Haare, blaße Haut, blaue Augen – „österreichischer“ und willkommener bin, als meine Freundin, mit der ich über die deutsche Dichtung von Sturm und Drang reden kann? Heißt es nicht, dass unser „Herzlich willkommen“ sehr oft so simplistisch und naiv ist, dass wir nur die Menschen akzeptieren wollen, die uns selbst gleich aussehen? In die innere Welt von ihnen schauen wir nicht einmal rein: wozu auch, denn, siehe oben: „Kopftuchwahn“?

P.S. Für diejenigen, die an Migration und Flucht als Thema tatsächlich auch tiefgreifender interessiert sind, möchte ich hier noch ein neues Buch von Philipp Ther empfehlen: „Die Außenseiter„. Es ist eine auch sprachlich, jedoch vor allem analytisch schön geschriebenes Buch, das auf einige Flucht- und Migrationsbewegungen in Europa seit dem 18. Jahrhundert eingeht und in viele elendlangen Debatten über die Integrierbarkeit eine so notwendige Maktoebene zieht. Keine Naivität, keine Hetze – durchdacht und ausgewogen. Äußerst gute Lektüre, die mir einige Augenblicke von „ah, das stimmt ja!“ oder „Wow, daran hab ich noch nicht gedacht“ schenkte.