Ah, spannend, spannend, wieso interessiert es mich diesmal so sehr, wer das neue Kirchenoberhaupt wird? Ich bin doch nicht einmal katholisch!
Zeitlich betrachtet habe ich bis jetzt zweimal miterlebt, wie ein Teil des Christentums einen neuen Vorsteher wählt (wenn man das Wort „Wahl“ hier wirklich verwenden darf, aber darüber diskutieren wir heute lieber nicht). 2005 starb Johannes Paul, die Folgenummer scheint mir aufgrund der dramatischen Kürze des Pontifikats Albino Lucianis fast überflüssig). Er mag wohl ein Katholik gewesen sein, d.h. formell betrachtet ein Oberhaupt einer anderen christlichen Konfession, aber man darf es natürlich nicht verleugnen, Herr Wojtyła war eine außerordentliche Persönlichkeit in der Geschichte der Kirche. Er war sogar in Kasachstan. Ja, ja, stellen Sie sich vor. In einem Land, dessen Bevölkerung formell zu 70% muslimisch und zu etwas 26% christlich (überwiegend russisch orthodox) ist. Es war doch kein Problem für den Papst. 2005 hat man Herrn Ratzinger gewählt.
Die Entscheidung, ihn nun als Papst emeritus zu bezeichnen, finde ich übrigens ziemlich unfair. Es entspricht dem europäischen Rationalismus nicht. So eine Entscheidung könnte ich wohl von den Orthodoxen erwarten, von den Menschen, die es größtenteils ruhig, wenn nicht gleichgültig verschluckt haben, dass der Herr Putin schon wieder Präsident geworden ist und sich vielleicht für so gescheit hält. Diese Entscheidung entspricht dem Geist des Nicht-Wählens, dem Geist der stagnierenden Stabilität und der Ausrede „es ist zwar anders vorgesehen, aber für so eine nette Person wie Sie machen wir eine Ausnahme“. Aber echt. Nichts persönliches, aber wenn man sagt, man geht, soll man doch wirklich gehen und vor allem erlaubt werden, zu gehen. Ohne jegliche Emeritierung, die einer nach dem eigenen Wunsch entlassenen Person und deren Schülern ein ungerechtes Gewicht im Vatikanischen Machtspiel gibt.
Eine zweite Kirchenoberhauptwahl meines bescheidenen Lebens hat 2009 stattgefunden. Es geht hier um die Wahl des neuen Patriarchen. Interessanterweise hat sich Kyrill II. zum Rücktritt Benedikts erst gestern, also am 1. März 2013 geäußert. Warum hat es doch so lange gedauert? Kyrill wird einerseits als ein starker Unterstützer der Ökumene (ja, ja, es sind nicht allein die Protestanten und die Katholiken, die heutzutage an die Zusammenarbeit und Näherung denken, auch die Orthodoxen denken mit, wie man das Große Schisma 1054 überwinden kann), andererseits als ein allzu regierungstreuer Spieler angesehen. Für beides natürlich auch heftig kritisiert.
Es war mir übrigens gar nicht bekannt, dass die Bezeichnung „russisch-orthodoxe Kirche“ (Original русская православная церковь) auch umstritten ist: manche unterscheiden die „genuin“ orthodoxe Kirche von der der Moskauer Erzdiözese. Die erste sei angeblich von den Kommunisten verbannt, verboten und erlöscht worden, die zweite soll erst zur Zeit des Zweiten Weltkrieges unter unmittelbaren Führung der Kommunisten als eine Art religiöse Unterstützung der Regierung gegründet worden sein und habe gerade deswegen extrem nahe Verbindung zur weltlichen Macht Russlands. Was man, solange man dieser Theorie glaubt, mit dem im Ausland blühenden und bis vor kurzer Zeit in keiner hierarchischen Verbindung zur Moskauer Orthodoxie gestandenen Emigrantenteil der Kirche tun soll ist dabei unklar. Die Tatsache, dass die russisch-orthodoxe Kirche spätestens seit der Herrschaft Peters des Großen (wahrscheinlich aber seit dem Iwan dem Schrecklichen) nie weder strukturell, noch finanziell von dem Staat unabhängig war, bleibt auch unbeachtet.
Ob ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien Vatikan ein Tornado in Texas Moskau auslösen kann? Einerseits eher nicht: wenn die Parlamentwahl 2011 und die Präsidentenwahl 2012 (zwei extreme und ganz direkte Reize) keine dauerhafte gesellschaftliche Ideenmobilität verursachten, sehe ich persönlich keinen Grund, warum etwas übertrieben gesagt irgendein Papst (d.h. ein Reiz, der mehr als mediat ist) ein eine von vielen ersehnte Kirchenreform bei den Orthodoxen zur Folge haben soll.
Andererseits spricht der Autor jenes Artikels mit der etwas fragwürdigen, jedoch interessanten Idee der Nichtexistenz der orthodoxen Kirche (sh. oben) von Forderungen, auf deren Frechheit ja sogar Robespierre selbst hätte neidisch sein können. Man spricht von Priesterwahl durch die Pfarrgemeinden, wünscht sich die volle ideologische Unabhängigkeit der Kirche von dem Staat. Unter anderem (und das finde ich besonders piquant) fordert man die Restrukturierung und Dezentralisierung der orthodoxen Kirche, d.h. einen Übergang zur konföderativen Struktur mit transparenter Priesterweihe und Konfirmation für alle Gläubigen nach dem Erreichen der Mündigkeit nach dem katholischen Vorbild. Von Frauenweihe oder Einstellung zur Homosexualität geht es hier natürlich keine Rede: der russischsprachige Raum ist an sich vom feministischen Radikalismus ganz verschont, dabei aber aggressiv heterosexuell.
Insgesamt ist es eher unwahrscheinlich, dass die Abdankung Benedikts eine orthodoxe Reform direkt auslöst: was es wohl bewirken wird ist die allgemeine Einstellung zur Kirche in allen christlichen Konfessionen, die das Treffen der wichtigen Entscheidungen innerhalb des Klerus auch auf einer unbewussten Ebene (gesellschaftlicher Druck usw.) beeinflusst. Der Fall Ratzinger möge nun als ein Muster zum weiteren Vergleichen dienen und dadurch ganz un-voraussagbare Auswirkungen auf weitere Kirchengeschichte haben.
P.S. In Zwischenzeit hat man eine spannende Möglichkeit zu wetten, wer von den Kandidaten vom Konklave zum neuen Papst gewählt wird. Lustigerweise wird Schönborn nicht allein von „Heute“, aber sogar von den etwas professioneller ausschauenden italienischen Zeitungen unter Favoriten erwähnt. Das wäre lustig, oder? Olympische Sommerspiele wollen wir haben, ein Wiener Papst wäre auch lieb ;).